Was macht eigentlich eine Kurzgeschichte aus? Woran erkenne ich eine Kurzgeschichte, wodurch unterscheidet sie sich von, zum Beispiel, einem Bericht, einem Essay oder einem inneren Monolog? Ich habe jetzt nicht vor, hier eine wissenschaftliche Abhandlung zu schreiben. Soweit ich mich erinnern kann, lernt man sowas in der Schule.
Zumindest während meiner Schulzeit haben wir im Deutschunterricht viele Kriterien einer Kurzgeschichte durchgesprochen. Die klangen beispielsweise so:
Form der erzählenden Dichtung, bei der eine [alltägliche] Begebenheit knapp berichtet wird, die Personen nur skizziert werden und der Schluss meist eine Pointe enthält (Definition in einem Wörterbuch)
Die Erklärung in Wikipedia (Auszug):
Typisch ist eine konfliktreiche, häufig nur skizzenhaft dargestellte, dabei von Emotionen geprägte Situation.
Ein oder zwei oft typisierte Hauptpersonen stehen im Mittelpunkt (es gibt jedoch auch Kurzgeschichten mit deutlich mehr Hauptpersonen). Personen werden nur in Aspekten beschrieben und charakterisiert.
Die Geschichte spielt nur an wenigen Orten.
Die Handlung ist meist einsträngig und äußerst knapp.
Ein entscheidender Einschnitt aus dem Leben der handelnden Person oder Figur wird erzählt.
Eine weitere, ausführlichere Auflistung der Merkmale hier: https://wortwuchs.net/kurzgeschichte-merkmale/
Auf diese Details will ich hier nicht eingehen. Worum es mir geht, ist der Umgang mit der Gattung Kurzgeschichte. Wenn eine Autorin an einem Wettbewerb teilnimmt, zu dem sie Kurzgeschichten einreichen soll, empfiehlt es sich, zu wissen, was sie beachten muss. Oder etwa nicht?Und damit bin ich wieder bei der Frage: Was macht eine Kurzgeschichte aus?
Meine Meinung ist: ein Mindestmaß an Handlung sollte eine Kurzgeschichte haben. Heißt, es sollte irgendetwas geschehen, etwas ablaufen. Wer genau hingesehen hat: das steht doch auch in den oben zitierten Definitionen.
Und hat eine innere Selbstbetrachtung Handlung? Dialoge? Charaktere? Ein Setting? Eine Pointe?
Ein hartes Nein wäre nicht die alles abdeckende Antwort. Denn natürlich könnte auch bei der Schilderung von Gedanken eine Handlung ablaufen. Aber in einem inneren Monolog darüber, wie ich mich gerade fühle, warum und wie ich trauere, weshalb ich mich von meinem Partner trenne usw.?
Warum aber nennen dann etliche Autoren ihre derartigen Texte Kurzgeschichten? Ich will keinesfalls zum Ausdruck bringen, dass solche Texte nicht gut seien, im Gegenteil, oft sind sie sehr ergreifend, bewundernswert offen und hervorragend formuliert. Eine Kurzgeschichte aber sind sie doch nicht.
Vielleicht sollte mal jemand eine neue Gattung erfinden, in die sich solche Texte einordnen lassen. Denn im Grunde ist es bedauerlich, dass sie nicht zu einem Genre passen. Es handelt sich nämlich wie gesagt sehr oft um wirklich gute, von wirklich guten Autoren verfasste Texte (fällt dir was auf? Ich vermeide hier bewusst den Begriff Geschichten), um die es tatsächlich schade wäre, wenn sie den Leserinnen vorenthalten würden, nur weil sie nicht als Kurzgeschichte bezeichnet werden können.
Ehrlich gesagt frage ich mich, wie Juroren bei Literaturwettbewerben damit umgehen, die entscheiden müssen, welche eingereichten Texte in eine Anthologie kommen und welche nicht.
Ach ja, für alle, die mehr über das Schreiben von Kurzgeschichten lernen möchten, empfehle ich dieses Buch: „Romane und Kurzgeschichten schreiben“ von A. Steele, Autorenhausverlag, ISBN 978-3-86671-119-8.