Vom Himmel fallen keine Sterne

Erzählung, erschienen November 2021

Der Tag, an dem Sahra Hallmann ein Leben zerschlägt, ist ein Mittwoch.

Ein gewöhnlicher Tag.

Ein Tag ohne Stern.

***

Sie liebte dieses Märchen. Jeden Abend schlug ihr Vater vor, einmal ein anderes Märchen zu lesen. Aber Sahra wollte stets nur das eine hören. ›Das Mädchen mit den Sterntalern‹.

Also las ihr der Vater dieses Märchen immer wieder vor. Sahra merkte sofort, wenn er schluderte, wenn er ein Wort vergaß oder änderte. Sie zupfte ihren Vater dann an der Nase, lachte und rief: »Nicht schummeln, Papa.«

Dann drückte er ihr einen Kuss auf die Nase, lächelte und begann von vorne: »Es war einmal ein kleines Mädchen, deren Vater und Mutter gestorben waren. Die Eltern hatten ihr nichts hinterlassen und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, um darin zu wohnen und kein Bettchen mehr, um darin zu schlafen.« Am meisten liebte Sahra das Ende: »Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel.«

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Der Hut

Kurzgeschichte, erschienen in "6. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2020"

Der Hut schwimmt auf dem Wasser, vom böigen Wind getrieben. Ein schwarzer Schlapphut, nennt man den nicht Borsalino?

Es sieht aus, als liefe jemand mit einem Hut auf dem Kopf unter der Wasseroberfläche. Vielleicht ist es so. Nicht, dass da jemand unter Wasser läuft, natürlich. Aber dass da mal jemand unter dem Hut war, der jetzt nicht mehr da ist.

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Boxer oder Eingriff?

Kurzgeschichte, erschienen auf www.verdichtet.at

Blau war seine Lieblingsfarbe. Soviel war klar. Das war einfach.

Aber wie viele verschiedene Blaus gab es? Himmelblau, nachtblau, marineblau, veilchenblau usw. Was würde ihm gefallen?

Robert stand auf der Straße und haderte mit sich. Boutique oder Kaufhaus? Amazon oder Otto Versand? Boxer oder Slip? Microfaser oder Feinripp? Eingriff oder Knöpfe? Seide oder Spitze? Nein, das dann doch nicht.

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Entscheidende Minuten

Erzählung, erschienen in "Krimi-Kurzgeschichten III"

Tausend glühend heiße Käfer krabbeln über meinen Körper, setzen ihn in Brand. Feurige Zungen lecken an meiner Haut. Rauch kriecht in meine Lungen, raubt die Luft zum Atmen. Ich ersticke.

Die Realität geht in Flammen auf.

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Zwischen zwei Gefühlen

Erzählung, erschienen in "Lebenszeiten"

In den vergangenen Stunden hatte Charlotte den Heizungskeller porentief gereinigt, ihren Hund gebürstet, alle Möbel im Wohnzimmer umgestellt, den Hund gebürstet, ihren Kleiderschrank aus- und wieder eingeräumt, ihren Hund gebürstet, ihre Bücher alphabetisch geordnet, den Hund gebürstet – und 17-mal angefangen, einen Brief an ihren Mann zu schreiben.

Jetzt versteckte sich Dackel Hermann unter dem Sofa und Charlotte saß verschwitzt und staubig an ihrem Schreibtisch und wusste nicht weiter. Sie las, was sie bisher geschrieben hatte.

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