Daniel Glattauer – In einem Zug

⭐⭐⭐⭐⭐

Ein sehr unterhaltsames Gespräch über die Liebe, auf der Fahrt von Wien nach München

Spätestens seit der Einführung des Deutschlandtickets haben auch hierzulande etwas mehr Menschen das Angenehme am Zugfahren entdeckt. Eines davon ist die Gelegenheit zu neuen Bekanntschaften oder doch zumindest zu interessanten Gesprächen.

Ein solches schildert der wunderbare Daniel Glattauer in seinem neuen Roman. Darin fährt der bekannte Autor von Liebesromanen, Eduard Brünhofer, von Wien nach München. Dort ist er mit seinem Verleger verabredet, der dringend auf ein neues Buch seines Erfolgsautors wartet. Doch dessen letzter Liebesroman erschien vor vielen Jahren und ein neuer will ihm einfach nicht gelingen. Seine Gegenvorschläge für einmal etwas anderes, das er schreiben wollen würde, stoßen im Verlag auf wenig Gegenliebe.

Solcherart in die Gedanken versunken, wie er sich auf dieses Gespräch, das auch erhebliche finanzielle Konsequenzen für ihn und seine Familie haben kann, vorbereiten soll, verstrickt ihn die Frau auf dem Sitz gegenüber unverhofft in einen Dialog. Einen ausführlichen Dialog, der sie während der gesamten vierstündigen Zugfahrt beschäftigen wird.

Die Frau, die ihn offensichtlich – zu seinem Verdruss – nicht erkennt und auch seine Bücher nicht gelesen hat, stellt ihm immer mehr Fragen, Fragen, die nach und nach immer indiskreter werden. Die sich mit der Liebe im Allgemeinen und der zu seiner Ehefrau Gina im Besonderen beschäftigen. Fragen, die ihn dazu veranlassen, mehr aus sich herauszugehen und mehr von sich preiszugeben, als er gemeinhin tut.

Zwischendurch versinkt er in teils absurde Gedanken, meist veranlasst durch die jeweilige Haltestelle, die Bahnhöfe, die sie passieren. Eduard und Catrin Meyr, so der Name der neugierigen Frau, gehen gemeinsam in den Speisewagen, setzen unverdrossen ihr Gespräch fort. Wobei das Gespräch immer mehr zu einer Art Verhör wird, so dass man sich ab einem gewissen Punkt wundert, dass der Schriftsteller all die teils ziemlich penetranten Fragen toleriert und beantwortet.

Am Ende, kurz bevor der Zug den Hauptbahnhof München erreicht, klärt sich auf, wer die Frau ist und was ihre Absicht. Auch wenn man während der Lektüre stets grübelt, was es sich mit all dem auf sich hat und auch obwohl man, je näher man den Ende kommt, ein wenig ahnt, was die Auflösung sein könnte, ist diese schließlich doch eine Überraschung. Allerdings konnte sie mich nicht so recht überzeugen, schien sie mir arg konstruiert, etwas sehr an den Haaren herbeigezogen. Ebenso wie die Reaktion Eduards auf die Beichte Catrins mir doch wenig nachvollziehbar vorkam.

Dennoch ist der Roman natürlich wieder ein typischer Glattauer: präzise Wortwahl, perfekte Metaphern, herrlich erzeugte Bilder. Dabei immer ein unterschwelliger Humor, ein wenig sarkastisch (auch wenn Eduard Brünhofer Sarkasmus nicht mag), ein wenig ironisch, aber nie endgültig ab- oder verurteilend. Dazu diese Dialoge, bei denen die Sätze, die Pointen wie Pingpongbälle hin und her fliegen, temporeich und temperamentvoll.

 Man hat viel Spaß beim Lesen, amüsiert sich über die Naivität des Schriftstellers, ist ein wenig irritiert von der Penetranz der Fragestellerin. Und bekommt viel zum Nachdenken, dank der vielen alltäglichen Kleinigkeiten, die der Roman aufgreift und bloßlegt.

Eine amüsante und unterhaltsame Zugreise, bei der man gerne dabei war.

Daniel Glattauer – In einem Zug
DuMont, Januar 2025
Gebundene Ausgabe, 205 Seiten, 23,00 €


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