Richard Wagamese – Der Flug des Raben

Vor einigen Monaten durfte ich „Der gefrorene Himmel“ von Richard Wagamese lesen und war begeistert. Der kanadische Autor mit indianischen Wurzeln, der bereits 2017 verstarb, hatte darin, in Anlehnung an sein eigenes Leben, das Schicksal eines Jungen geschildert. Dieser wurde, so wie auch der Protagonist des vorliegenden Romans, als kleines Kind von den kanadischen Behörden seiner Familie entrissen und damit von seinen Wurzeln getrennt.

Und wie schon bei diesem ersten Roman, den ich von ihm las, hatte ich auch diesmal wieder das Gefühl, neben dem Autor am Lagerfeuer zu sitzen und seinen Geschichten zu lauschen. Er erzählt uns von Garnet Raven, der im Alter von drei Jahren aus seiner Familie entfernt und erst in ein Heim und später in wechselnde Pflegefamilien gesteckt wird. Heimisch wird er aber an keinem dieser Orte.

Er beginnt, seine indianische Herkunft zu verleugnen, ja geradezu zu ignorieren. Er schämt sich, wenn er alkoholisierte, bettelnde Indianer sieht und will auf keinen Fall zu diesem Volk gehören. Dann schon eher zu den Schwarzen, besonders zur Familie von Delma und ihren Kindern. Dort fühlt er sich wohl, zugehörig und er beginnt, sich wie ein Schwarzer zu kleiden, zu benehmen, zu fühlen.

Doch dann kommt er wegen eines Drogendeliktes ins Gefängnis. Dort erreicht ihn völlig unverhofft ein Brief seines leiblichen Bruders. Denn seine Familie hat nie aufgehört nach ihm zu suchen. So kommt er schließlich zurück in den Ort seiner Herkunft, begegnet den Verwandten, Nachbarn und Freunden.

Vor allem einer wird für ihn besonders wichtig: der alte Keeper. Der erzählt Garnet nach und nach die alten Geschichten der Indianer, führt ihn in das Leben seines Volkes, seiner Historie und seiner Traditionen ein.

Wenn man dieses Buch liest, fühlt es sich an, als würde Richard Wagamese einfach so erzählen, wie es ihm gerade einfällt. Es wirkt nicht wie ein Roman, nicht wie eine erdachte Handlung. „Der Flug des Raben“ war der Debütroman Wagameses und das merkt man. Das ist gar nicht negativ gemeint, eher im Gegenteil. Denn der Roman hat eine Leichtigkeit, trotz der traurigen und grausamen Seiten im Leben von Garnet Raven. So hat man wechselweise Tränen der Trauer und Lachtränen in den Augen.

Richard Wagamese – Der Flug des Raben
aus dem kanadischen Englisch von Ingo Herzke
Blessing, Oktober 2021
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten, 24,00 €


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