Anstrengende, aber auch sehr spannende Story um einen verschwundenen Vater
Dieser Wälzer mit mehr als 500 Seiten erzählt von einer Familie voller Probleme, die im Grunde vor allem auf der Suche nach Glück ist. Sprachlose Hauptperson ist der 14jährige Eugene. Er leidet an diversen Beeinträchtigungen, wie einer Abart des Autismus sowie der Unfähigkeit zu sprechen. Seine älteren Geschwister sind die 20-jährigen Zwillinge Mia und John.
John arbeitet in der Betreuungseinrichtung, die auch Eugene normalerweise täglich besucht. Mia studiert, ist aber gerade wieder zu Hause eingezogen, denn die Geschichte spielt während der Covid-Pandemie.
Die Mutter der Familie ist Wissenschaftlerin, während der Vater zuhause ist und sich insbesondere um Eugene kümmert. Das beinhaltet unter anderem tägliche Spaziergänge der beiden in einem nahegelegenen großen Park. Von einem dieser Spaziergänge kehrt jedoch eines Tages nur Eugene zurück, völlig verstört, unfähig sich zu artikulieren, in einem blutverschmierten T-Shirt. Der Vater ist verschwunden.
Die hinzugezogene Polizei hat recht schnell Eugene in Verdacht, dem Vater irgendetwas angetan zu haben, während der Rest der Familie absolut überzeugt ist, dass der Junge dazu niemals imstande wäre.
Erzählt wird die Geschichte in Ich-Form von Mia, durchgängig aus ihrer Perspektive. Mia neigt dazu, alles zu hinterfragen, zu durchleuchten, zu recherchieren. Während Mutter und Bruder sich an der Suchaktion beteiligen, durchforstet sie Unterlagen und Computer des Vaters. Dabei entdeckt sie seine Studien zum Thema Glück und ist erschüttert über das, was sie herausfindet. Dass der Vater nämlich seine Kinder, vor allem Eugene fast wie Versuchskaninchen behandelte, ohne einen von ihnen darüber zu informieren. Was so weit geht, dass er auch die anderen nicht davon in Kenntnis setzte, welche Fortschritte Eugene zwischenzeitlich machte.
So läuft der Roman quasi auf zwei Ebenen ab. Die eine schildert auf wirklich spannende und fesselnde Weise die Suche nach dem Vater, die vielen Fragen, die sich auftun und insbesondere die Wirkung, die all das auf den Jungen Eugene hat, der das weder verarbeiten noch sich bisher irgendwie dazu äußern kann.
Die zweite Ebene sind die Gedanken, die sich Mia über all das macht, über die Beziehungen in ihrer Familie, über die Geschichte, die Herkunft ihrer Mutter aus Korea (wie die Autorin selbst ebenfalls), Erinnerungen an ihre Großmutter und vor allem die Dokumente des Vaters. Hieraus wird im Laufe des Romans sehr viel, oft seitenweise, zitiert. Dazu kommen zusätzlich zum eigentlichen Text weitere Ergänzungen Mias in Form von Fußnoten, was dem Roman fast den Anschein einer wissenschaftlichen Arbeit gibt.
Diese zweite Ebene ist zwar einerseits interessant, wenn man etwas über die Hintergründe und die Lebensumstände der Familie erfährt. Andererseits aber auch sehr oft langatmig, schleppend, wenig fesselnd und eher zäh. Hier habe ich, das muss ich gestehen, oft einiges überblättert, ohne dass dies dem Verständnis der Handlung geschadet hätte.
Insgesamt aber, von den eher mühsam zu lesenden Passagen abgesehen, ein wirklich gut konstruierter Roman, voller unvorhersehbarer Twists und mit gut ausgearbeiteten Figuren, vielleicht abgesehen von Mias Bruder John, der etwas blass bleibt.
Eine Straffung der Handlung, ein Kürzen des Romans um bis zu 200 Seiten hätte die Geschichte noch packender, noch thrillerartiger werden lassen. Dennoch ein empfehlenswerter Roman für alle, die verwickelte Familiendramen mögen.
Angie Kim – Happiness falls
aus dem Englischen von Wibke Kuhn
hanserblau, April 2025
Gebundene Ausgabe, 544 Seiten, 24,00 €