Graham Norton – Ein Ort für Immer

⭐⭐⭐⭐⭐

Berührender und humorvoller Roman um die Frage: Sind wir da zuhause, wo wir wohnen?

Ein Schicksal, das heutzutage sicher öfter vorkommt, als man glaubt. Plötzlich sitzt ein Partner auf der Straße, weil der andere keine Vorsorge getroffen hat.

In dem Roman des irischen Autors Graham Norton, des ersten, den ich von ihm las, geht es vor allem um das, was unser Zuhause ausmacht. Für fast alle der wunderbar ausgearbeiteten Figuren stellt sich diese Frage, nicht alle finden eine Antwort.

Im Mittelpunkt steht Carol, fast fünfzig und glücklich in ihrer Liebe zu dem wesentlich älteren Declan. Seit 10 Jahren lebt sie bei ihm in seinem Haus, verheiratet sind sie nicht. Denn Declans Ehefrau ist seit vielen Jahren verschwunden, er also noch gebunden. Die erwachsenen Kinder Declans, Killian und Sally, lehnen Carol ab und auch Carols Sohn Craig ist eher distanziert, lebt sein eigenes Leben fernab.

Als dann Declans Demenz sehr rasch voranschreitet und Carol ihn nicht mehr allein versorgen kann, entscheiden Killian und Sally, ihren Vater in ein Pflegeheim zu geben. Und das Haus, in dem sie aufgewachsen sind und an dem inzwischen Carols Herz hängt, zu verkaufen, obwohl sie wissen, dass ihr Vater genau dies niemals zugelassen hätte. Damit steht Carol, die längst auch ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben hatte, quasi auf der Straße und muss wieder bei ihren Eltern Moira und Dave einziehen.

Besonders Moira ist eine wunderbar gelungene Figur. Sie nimmt stets die Fäden in die Hand, findet immer eine Lösung, auch für das kurioseste Problem, und hat ebenso stets eine passende Antwort parat. Ihr Erfindungsgeist wird besonders auf die Probe gestellt, als sie und Carol in Declans Haus eine erschütternde Entdeckung machen.

Denn aus Mitleid mit ihrer Tochter und um Declans Kindern eins auszuwischen, kaufen Dave und Moira das Haus. Damit es sich anschließend gewinnbringend wieder veräußern lässt, wollen Moira und Carol es ein wenig renovieren, wobei sie über den erwähnten Fund stolpern.

Damit wird die ganze Geschichte nicht nur wunderbar komisch und absurd, sondern gewinnt so richtig an Fahrt. Die Spannung steigt, denn über allem schwebt stets die offene Frage, was mit Declans Frau Joan geschah.

Auch wenn mir die ständige Zögerlichkeit und Ängstlichkeit Carols, ihre Unentschlossenheit und ihr ewiger Wunsch, niemandem auf die Füße zu treten, etwas auf die Nerven ging, Moira macht das alles wett. Dazu der wunderbare Schreibstil Graham Nortons, der mit Empathie die Gefühlswelt der Figuren darstellen kann, mit Verständnis und immer mit feinsinnigem Humor.

Killian, voller Zweifel über seine Ehe mit seinem Mann Colin und dessen Wunsch nach einem Heim und einem Baby. Sally, die einsame und verklemmte Seele in ihrem winzigen unaufgeräumten Cottage, die am meisten unter dem Verlust der Mutter litt, und Carol, damit hadernd, dass sie in ihrem Alter ohne zuhause ist und quasi vor dem Nichts steht.

Ein absolut gelungener Roman, der ernste Themen nahbar macht, ohne rührselig oder kitschig zu werden, der einen anrührenden Ton findet, voller Subtilität und Einfühlungsvermögen. Dass manches unrealistisch und absurd, macht das eigentliche Vergnügen am Roman aus, auch wenn die Auflösung am Ende etwas arg konstruiert wirkt.

Unbedingt empfehlenswert. 

Graham Norton – Ein Ort für Immer
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus
Kindler, April 2024
Gebundene Ausgabe, 382 Seiten, 25,00 €

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