Christian Schnalke – Louma

Wie muss ein Roman sein, den man nicht aus der Hand legt, in dem man ganz drin ist und von dem man wünscht, dass er nicht zu Ende geht? Der nachwirkt, dessen Figuren einen noch lange begleiten, wie gute Freunde? So wie „Louma“ von Christian Schnalke!

Louma ist der Name der Frau, um die sich der gesamte Roman dreht, die aber, bevor die Geschichte überhaupt beginnt, bereits gestorben ist. Und schon dieser Beginn verursacht eine Gänsehaut: Louma wurde in einem Trauerwald beigesetzt, die Beisetzungsfeier ist vorüber, der Friedhof geschlossen. Da steigen ihre vier Kinder und ihr Ehemann über die Mauer und schlagen neben ihrem Grab ein Zelt auf: um sie in der ersten Nacht im Trauerwald nicht allein zu lassen! Was für ein Einstieg in diese wunderbare Familiengeschichte.

Louma hat vier Kinder von zwei Männern: Toni und Fabi, die beiden Ältesten, aus ihrer ersten Ehe mit Tristan und die beiden Kleinen, Fritte und Nano, aus ihrer jetzigen Ehe mit Mo. Die Vier hängen sehr aneinander und es ist klar, dass sie einander gerade jetzt gegenseitig brauchen. Da kommt es nicht in Frage, dass die beiden Väter ihre jeweiligen Kinder zu sich nehmen, sie trennen, etwas, das Tristan ursprünglich plant. Doch dann hat Fritte, die Stille, die immer erst lange nachdenkt, bevor sie etwas sagt, eine Idee: Tristan soll bei ihnen einziehen, beide Väter sollen die Kinder gemeinsam betreuen und aufziehen.

Dieser Vorschlag erscheint völlig absurd, denn die beiden Männer können sich ganz und gar nicht leiden. Auch gibt es kaum größere Unterschiede als zwischen diesen Beiden: Tristan ist der erfolgsverwöhnte, gutaussehende, stets aktive Besitzer einer Kette florierender Cafés, Mo hat eine Therapie hinter sich, übt keinen Beruf aus, verschläft ständig und vergisst wichtige Dinge, die zu erledigen er versprochen hat. Tristan ist stets gepflegt, hat sein Leben komplett organisiert und geht regelmäßig joggen, Mo trägt nur kurze Hosen und löchrige T-Shirts, ist untersetzt und unsportlich.

Doch sie gehen das Experiment an, den Kindern zuliebe. Die nicht nur ihre Mutter schmerzlich vermissen, sondern auch noch ihren Hund, der seit dem Unfalltod Loumas verschwunden ist. Besonders der Jüngste, Nano, hängt sehr an Hummel, dem Hund und gibt die Hoffnung, ihn wiederzufinden, nicht auf.

Nichts ist kitschig an diesem Roman, nichts rührselig, und doch hat man beim Lesen ständig einen dicken Kloß im Hals, der dort die ganze Zeit mit einem leisen Lachen um die Überhand ringt. Wie wunderbar Christian Schnalke, der schon viele erfolgreiche Drehbücher für Film und Fernsehen geschrieben hat,  insbesondere die Kinder schildert, wie er sie sprechen und agieren lässt, das ist niemals unnatürlich, niemals übertrieben oder affektiert. Wie der Klappentext so schön formuliert: „Um sich auf Louma vorzubereiten, hat sich der Autor einem jahrelangen Selbstversuch unterzogen, indem er drei Söhne großgezogen hat.“  Ob es nun daran liegt oder einfach an seinem Können, jedenfalls sind diese Figuren wunderbar authentisch, sie leben, atmen.

Das gilt ebenso für die beiden Männer, Tristan und Mo. Beide, auch der seit 10 Jahre von Louma geschiedene Tristan, trauern sehr um die geliebte Frau. „Er [Mo] ging durchs Haus und versuchte, Lous Gegenwart zu bewahren. Sich bei jedem Gegenstand zu erinnern, wann sie ihn zuletzt berührt hatte, bei jedem Stück Fußboden, wann sie zuletzt darüber hinweggegangen war. Er hatte Angst davor, ins Bett zu gehen, denn Lou würde auf der Matratze nicht an ihn heranrücken, und er würde auch nicht ihr Nachttischlicht ausknipsen, weil sie über einem Buch eingeschlafen war.“ (S. 63).

Auch die Dialoge, zwischen den Erwachsenen und den Kindern, aber ganz besonders die Gespräche zwischen Tristan und Mo, das ist das wahre Leben. Ich habe fast den Verdacht, dass sie so nur ein männlicher Autor schreiben kann, diese sprachlose Sprache der Männer so authentisch in Dialoge packen, so plastisch darstellen kann.

Mit der Zeit steigern sich die Konflikte zwischen Tristan und Mo, ergeben sich immer neue Probleme für die Kinder, doch gemeinsam kommen sie durch alles hindurch. Das ist für mich die Botschaft dieses wunderbaren Romans, den ich mit Sicherheit noch weitere Male lesen werde.

Doch auch wenn für alle Konflikte sich immer irgendeine Lösung finden lässt, greift der Autor auch hierfür nie auf Klischee zurück. Wie Tristan seinen Sohn Fabi vom Computer weg- und wieder unter Gleichaltrige lockt, wie Toni ihren Zweikampf mit ihrem Rucksack austrägt, wie Fritte die Aufgaben einer Mutter übernimmt und Nano täglich Futter für den verschwundenen Hummel hinstellt, all das ist mit so feinfühligen Worten, mit zarten, aber aussagekräftigen Bildern erzählt, dass ich beim Lesen stets das Gefühl hatte, ich bin mittendrin in dieser chaotischen Familie.

Mein Fazit: Unbedingt lesen!

Christian Schnalke – Louma
Oktopus, August 2021
Gebundene Ausgabe, 395 Seiten, 22,00 €

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