Florian Illies – Wenn die Sonne untergeht: Familie Mann in Sanary

⭐⭐⭐⭐⭐

Mit den Manns in ihrem ersten Exil – ein wahrhaft gelungenes Buch

Man meint, mit der Familie am Tisch zu sitzen, wenn sie sich zum Mittagessen versammelt. Man glaubt, dabei zu sein, wenn Thomas und Heinrich Mann am Meer spazieren gehen. Man windet sich mit den Kindern, die aus Angst vor dem Übervater zittern und sich nichts zu sagen trauen. Man leidet mit „Tommy“, dem Nobelpreisträger, der sich so sehr entwurzelt fühlt.

Das geniale Buch von Florian Illies – so wunderbar geschrieben, so perfekt Stimmungen beschreibend und Personen entlarvend – liest sich wie ein spannender, humorvoller und sehr sensibler Roman. Durch dessen Seiten man jagt, die man nicht schnell genug umblättern kann, so sehr fesselt das Erzählte.

Etwas mehr als ein halbes Jahr folgt Illies den Geschehnissen und Handlungen der Familie Mann. Beginnend im Februar 1933 zeichnet er das Bild einer heimatlos gewordenen Sippe, hin und her taumelnd, von Ort zu Ort ziehend, ohne sich wirklich heimisch fühlen zu können.

Thomas Mann, auf Vortragsreise in Amsterdam und in der Schweiz, kann plötzlich nicht mehr nach Deutschland zurückkehren. Seine politische Haltung macht ihn im nationalsozialistischen Deutschland zur unerwünschten Person. Aber er begreift das erst nach und nach, will es nicht wahrhaben, hofft, dass sich alles aufklärt, dass dieser Spuk vorübergeht.

Seine ältesten Kinder Erika und Klaus sehen das klarer, realistischer. Sie drängen ihn, mit Deutschland abzuschließen, sein im Werden begriffenes neues Buch nicht mehr dort erscheinen zu lassen. Dabei sind sie selbst Gejagte, werden selbst nicht sesshaft. Erika zieht es zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Therese Giese in die Schweiz, während Klaus in den Niederlanden eine neue Zeitschrift gründen will.

Derweil muss der drittälteste Sohn Golo die dem Vater wichtigsten Dinge aus dem Haushalt in München retten, dabei ist er doch selbst ebenfalls mit sich selbst nicht im Reinen. Und dann sind da noch Moni, die ungeliebte Tochter, die niemand vermisst, wenn sie fehlt. Sowie die beiden jüngsten, Elisabeth, genannt Medi, Thomas Manns Lieblingskind und Michael, der Geige spielende und ebenfalls den Vater fürchtende.

Sie alle landen schließlich für die Sommermonate in Sanary sur Mer, in Südfrankreich nahe Nizza. Doch nicht nur die Manns stranden dort in diesen Monaten, immer mehr Geflüchtete kommen aus Deutschland. Thomas‘ Bruder Heinrich, Lion Feuchtwanger und seine Frau, Aldous Huxley, Bertold Brecht, Arnold Zweig, Ludwig Marcuse und viele mehr. Man trifft sich, man diskutiert, es werden Lesungen veranstaltet, Liebschaften beginnen und enden. Und dazwischen immer Thomas Mann, der unendlich leidet, sich nicht entscheiden kann, der seine Heimat, sein Haus, seine gewohnte Umgebung vermisst. Der es nicht über sich bringt, deutlich und öffentlich seine Meinung über die Nazis zu bekunden.

All das erzählt Florian Illies auf so unnachahmliche Weise, dass man jede Szene, jede Begebenheit hautnah miterlebt. Seine Art, seine Sprache sind so genial, so unglaublich witzig, ohne dabei entblößend oder verunglimpfend zu sein, sein Blick auf die Stimmungen, die Manieriertheiten der Literaten und Künstler so klar und gleichzeitig auch auf eine gewisse Weise liebevoll. Nie verurteilt er, aber er beschönigt auch nicht.

Dazu die herrlich formulierten Sätze, die ich manchmal zwei- oder dreimal las, einfach um sie zu genießen. Daran hätte vermutlich auch Thomas Mann seine große Freude gehabt. Die Art der Darstellung, die kurzen Streiflichter, die mal auf dieses, mal auf jenes Familienmitglied gerichtet sind, erinnerte mich an die Bücher „Marseille 1940“ und „Februar 33“ von Uwe Wittstock. Diese beiden Bücher und das vorliegende geniale neue Buch von Florian Illies muss man einfach gelesen haben.

Uneingeschränkt und auf jeden Fall ein Jahreshighlight. Ganz große Empfehlung (fünf Sterne reichen dafür nicht)

Florian Illies – Wenn die Sonne untergeht: Familie Mann in Sanary
S. Fischer, Oktober 2025
Gebundene Ausgabe, 329 Seiten, 26,00 €


Siehe auch: Florian Illies – Liebe in Zeiten des Hasses

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