Bewegender, aber etwas zu langatmiger Roman um eine letzte Reise
Diesen Wälzer von knapp 750 Seiten brachte die Autorin zuerst im Selfpublishing heraus, wo er einen unglaublichen Erfolg erlebte. Was nicht wundert, denn die Geschichte, die sie erzählt, ist von der Art, die die Menschen packt, sie bewegt, eine Geschichte, die in Buch und Film immer funktioniert.
Emile ist erst 26, als er die Diagnose erhält, dass er unheilbar an einer frühen Alzheimer-Demenz erkrankt ist und nur noch maximal zwei Jahre zu leben hat. Statt in Selbstmitleid zu versinken und sich der Sorge und Trübnis seiner Familie zu überlassen, beschließt er, lieber eine Reise zu machen. Er kauft sich ein Wohnmobil und sucht über Inserat nach einer Reisebegleitung.
Es meldet sich nur eine Person, Joanne, und ohne viel Federlesen oder Vorbereitung, ohne sich zu kennen, fahren sie schon wenige Tage später los. Joanne ist nur wenige Jahre älter als Emile, sehr schweigsam und sehr wenig anspruchsvoll. Erst nach und nach kommen die Beiden während der Fahrt ins Gespräch, lernen sich besser kennen und vertrauen.
Letzteres ist besonders wichtig, denn Emile verliert immer mal wieder das Bewusstsein, vergisst, wo er ist, was er zuletzt getan hat. Dann muss Joanne für ihn da sein, was sich zuerst als nicht so einfach herausstellt, da sie z.B. in Krankenhäusern kein Auskunftsrecht hat als nicht Verwandte.
Während die beiden jungen Leute in die Pyrenäen fahren, dort länger bleiben und auf eine mehrtägige Wandertour gehen, auf der sie viele unterschiedliche Menschen kennenlernen, kommen sich Emile und Joanne näher, ohne dass sich hier, wie man es erwartet, stärkere Gefühle zwischen ihnen entwickeln.
Doch Joanne trägt ein Geheimnis mit sich herum, immer wieder erhält sie Anrufe, die sie sehr aufwühlen. Es dauert, bis Emile herausfindet, was in ihrer Vergangenheit geschah. Zumal er selbst die ganze Zeit über seine vergangene Beziehung trauert, die Frau, die ihn verlassen hat. Dies wird in (zu) vielen Rückblicken erzählt, sehr ausschweifend, ebenso wie sein Verhältnis zu seinem besten Freund. Ab der Mitte des Romans dann wechselt es und statt der Rückblicke auf Emiles Leben sind es nur Rückblenden auf Joannes Vergangenheit, die auf einen Höhepunkt zulaufen.
So sind es im Grunde drei getrennte Ebenen, auf denen dieser Roman sich abspielt. Das ist oft verwirrend, weil aktuelle Handlung und Rückblick unvermittelt ineinander übergehen, so dass man erst nach etlichen Sätzen erkennt, wo man sich gerade befindet. Dazu wird all das sehr, wirklich sehr ausführlich erzählt. Es gibt viele lange Beschreibungen der Landschaft, viele Figuren, die auftreten und wieder verschwinden, deren Geschichte aber auch erzählt wird.
Dadurch verliert die gesamte Geschichte irgendwann an Spannkraft, an Zugkraft, auch weil man durch die vielen unvermittelten Rückblenden immer wieder aus der Handlung herausgerissen wird. Auch die seitenlangen Dialoge, die sich oft im Kreis drehen und wiederholt die gleichen Themen aufgreifen, tragen dazu bei, dass sich alles zu sehr in die Länge zieht.
Diese Geschichte, dieser Plot, auf der Hälfte der Seiten erzählt, das wäre fesselnd, packend und spannend gewesen. So gut und gefällig der Schreibstil der Autorin in ihrem Debüt ist, so sehr fehlt die Straffung, die Bündelung des Ganzen. Worunter eben dann leider auch die Emotion leidet, so dass auch die eigentliche Geschichte, das Thema der „letzten Reise“ vor dem Tod, schließlich nicht so berührt und bewegt, wie es hätte sein können und sollen.
Insgesamt ein thematisch berührender Roman, mit sympathischen und lebendigen Hauptfiguren, der aber zu ausschweifend und zu lang ist.
Mélissa da Costa – All das Blaue vom Himmel
Originaltitel: Tout le Bleu du Ciel
aus dem Französischen von Susanne von Volxem
Penguin, Juni 2025
Gebundene Ausgabe, 747 Seiten, 22,00 €