Janice Hallett – Die Engel von Alperton

⭐⭐⭐⭐

Hochspannender, sehr verwickelter Krimi in Form von Notizen und Aufzeichnungen

Erneut stellt diese geniale Autorin einen Roman vor, der lediglich in Form von Sprachnachrichten, Mails, Notizen und Transskripten von Aufnahmen eine spannende, wenn auch sehr verzwickte Geschichte erzählt.

Deren Inhalt man kaum geschickt zusammenfassen kann, so komplex ist das Ganze. Im Grunde geht es um einen Mord und mehrere Selbstmorde, geschehen vor 18 Jahren in Zusammenhang mit einer Gruppe, einer Art Sekte, die sich die Engel von Alperton nannten.

Für den Mord an einem jungen indischstämmigen Mann sitzt Gabriel Angelis in Haft als verurteilter Mörder, obwohl er stets beteuert, die Tat nicht begangen zu haben. Gabriel war Teil oder vielmehr eine Art Anführer oder Guru dieser Engel. Zu ihnen gehörten auch noch Holly und Jonah, beide damals gerade 17 Jahre alt und Eltern eines Säuglings.

Heute nun bekommt Amanda Bailey, eine Autorin und Journalistin, den Auftrag, über diesen Jahre zurückliegenden Fall zu schreiben. Anlass ist die Tatsache, dass das Baby von damals nun seinen 18. Geburtstag feiert und niemand weiß, wo es lebt, wie es heißt, ja nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.

Also ist Amandas vorrangiges Ziel, dieses Kind ausfindig zu machen. Dazu nimmt sie mit unendlich vielen Menschen Kontakt auf, mit den Ermittlern von damals, mit Kollegen und anderen Schriftsteller:innen, mit Sozialarbeiterinnen und auch mit Gabriel versucht sie in Kontakt zu treten. Gegen ihren Willen muss sie mit Oliver Menzies zusammenarbeiten, der ein ähnliches Projekt begonnen hatte, obwohl sie mit ihm schlimme Erinnerungen verbindet. Eine Unterstützung hat sie in Ellie Cooper, die sie ebenfalls von früher kennt und die all ihre Sprachaufzeichnungen der Verhöre und Gespräche transkribiert und immer wieder ihre Kommentare dazu einfügt.

Alles wird so aus Sicht von Amanda gezeigt, ohne dass man bei der Lektüre von ihr selbst ein rechtes Bild bekommt, sie, die eigentliche Hauptfigur, bleibt diffus, auch als man im späteren Verlauf erfährt, was zwischen ihr und Oliver vorgefallen war, trägt das nicht zu mehr Verständnis dieser Figur bei.

Überhaupt treten unglaublich viele Figuren auf, was sehr verwirrt. Manche haben nur einen Auftritt, andere treten einmal in Erscheinung und danach erst sehr viel später ein weiteres Mal, wo man schon längst vergessen hatte, wer das war. Zwar gibt es vorne eine Art Liste der Personen, die Amanda bei ihren Recherchen kontaktiert, das hilft aber nicht sehr viel weiter.

Auch ist alles sehr in die Länge gezogen, es gibt viele Dinge, die die Handlung nicht wirklich weiterführen, zumindest auf den ersten Blick, wie z.B. Auszüge aus Romanen oder Theaterstücken, die den Fall der Engel von Alperton fiktional bearbeiteten. Da zieht es sich oft, so dass dieser Roman leider nicht die Spannung, die Tiefe und die Qualität erreicht von dem ersten Roman, den ich von Janice Hallett las „Die Aufführung“, der wirklich ungemein fesselte, sowohl durch Spannung wie auch emotionalen Tiefgang. Gerade letzteres vermisste ich hier ein wenig, alle waren eher kühl, keine Figur konnte mich emotional erreichen, konnte Empathie wecken. Dazu kommt das Gefühl, dass der Roman schlicht ein wenig zu lang ist, ein wenig Kürzen hätte vielleicht ganz gut getan.

Dafür ist schließlich die Auflösung vollkommen überraschend einerseits, das Ende so nicht vorhersehbar, andererseits kann man das eine oder andere irgendwann erahnen. Und doch bleiben am Ende noch einige Fragen offen, einige lose Fäden hängen.

So ist das Ganze zwar ein wirklich gut geschriebener, ungemein geschickt gestalteter und sehr dramatischer Roman, der durchaus zu empfehlen ist. Doch etwas fehlte dann doch.

Janice Hallett – Die Engel von Alperton
aus dem Englischen von Stefanie Kremer
Atrium Verlag, April 2025
Gebundene Ausgabe, 543 Seiten, 24,00 €


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