Wirr, erratisch und doch irgendwie fesselnd – Roman um einen Roman
Bei diesem Roman muss man vor allem und ständig aufpassen, den eigentlichen Handlungsfaden nicht aus dem Blick zu verlieren. Erzählt doch der mehrfach preisgekrönte Autor eine ziemlich wilde, immer wieder komplett abschweifende Geschichte.
In deren Mittelpunkt der Selfmade-Unternehmer Ashok Oswald steht, inzwischen über 60 und seit kurzem ganz allein lebend. Denn seine Frau hat ihn verlassen – unter Mitnahme eines teuren Gemäldes – seine Leibwächter, Gärtner, Köchin und weitere dienstbare Geister hat er entlassen oder doch zumindest bis auf weiteres abbestellt.
Nach einer Nacht im Umzugskarton (!) zieht er nun morgens seine üblichen Bahnen durch seinen großen Pool, als Fremde auftauchen und von ihm ein Manuskript erheischen, und das unter massiver Androhung von Gewalt. Erst nach einer Weile begreift Ashok, wovon die Leute reden: Es handelt sich um ein Originalmanuskript, welches ihm dessen Verfasser vor vielen Jahrzehnten in Obhut gab. Gelesen hat Oswald den Text nie, verlegt wurde das Buch ebenfalls nie. Es bedarf einer längeren Suche, bis er das Manuskript überhaupt wieder findet in seinem Haushalt, doch dann händigt er es den Eindringlingen aus.
Nur ist jetzt seine Neugier geweckt, jetzt will er wissen, was es mit diesem geheimnisvollen Buch auf sich hat. Also beginnt er zu recherchieren. Erster Anknüpfungspunkt ist eine inzwischen ehemalige Schauspielerin, die mit dem Autor Peter Bischof befreundet war. Von ihr bekommt er weitere Tipps, die ihn schließlich bis nach Irland bringen.
Auf dieser recht abenteuerlichen Reise, nicht nur auf der Suche nach Antworten, sondern auch in die Vergangenheit, begegnet Ashok Oswald – sein Vorname erklärt sich aus der indischen Abstammung seiner Mutter – vielen absonderlichen Menschen. Deren Geschichten erfährt er, mit ihnen führt er lange Gespräche, vertieft sich in ihre Schicksale. Doch mit der eigentlichen Handlung, seiner Suche nach Erklärungen über das verschwundene Manuskript, haben diese Abschweifungen nichts zu tun.
Schließlich findet er die Antwort auf seine Frage, was das Besondere an Bischofs Buch war und warum es nie veröffentlicht werden durfte. Auch das ist wieder eine ganz besondere, eine ganz besonders kuriose Geschichte für sich.
Auf dem Weg vom Beginn zum Ende des Romans verliert man immer wieder die Orientierung, verläuft man sich in Rückblicken auf Ashoks eigene Geschichte, gerät in die Vergangenheit der ehemals berühmten Schauspielerin, findet sich plötzlich zwischen den Problemen völlig Fremder und muss dann doch wieder den Knoten neu knüpfen an den eigentlichen Handlungsfaden.
So ist der Roman von Heinrich Steinfest stilistisch wirklich gelungen, seine Art, die Figuren zu beschreiben so plastisch, so liebevoll-ironisch, so farbenreich, dass man sie alle vor sich zu sehen glaubt. Dazu seine pointierten, mal mehr mal weniger spitzen, analytischen Bemerkungen zu diversen aktuellen Themen. Andererseits verliert man die Rahmenhandlung immer wieder aus dem Blick, wird auf Abwege geführt. Ich habe, das gebe ich zu, ab und an eine dieser Abschweifungen schlicht überblättert, um nicht völlig aus der Plot herauszufallen, um den Spannungsbogen nicht völlig zu verlieren.
Ein Roman, für den man einen etwas längeren Atem und Durchhaltevermögen braucht, wofür man am Ende mit einer unterhaltsamen, kuriosen und ungewöhnlichen Geschichte belohnt wird.
Heinrich Steinfest – Das schwarze Manuskript
Piper, August 2025
Gebundene Ausgabe, 240 Seiten, 23,00 €