Caethe Worring – Das Gift der Schlangen

Dieser Roman entwickelt seine Anziehungskraft erst nach einer guten Weile. Die ersten mehr als hundert Seiten muss man durchhalten und dabei auch hinnehmen, dass der eigentliche Protagonist erst spät eingeführt wird. Das ist ein ziemliches Manko und nicht das einzige dieses Debütromans, den ich aber dennoch mit großem Vergnügen verschlungen habe.

Sobald sich die Leserin nämlich in dem umfangreichen Personaltableau zurechtfindet und die Sympathien zu den Figuren wachsen, ist sie durch die spannende Handlung gefangen. Ich konnte den Roman erst wieder aus der Hand legen, als ich die letzte Seite gelesen hatte.

Die Geschichte, für die Caethe Worring, die ihren Roman unter diesem Pseudonym veröffentlichte, erhebliche Recherchearbeit leisten musste, spielt im Jahr 1962. Haupthandlungsort ist ein großes Weingut im Rheingau, Schlossherr ist Graf Julius von Glauberg. Dieser wird Opfer einer groß angelegten Intrige dreier „sauberer“ Herren, zwei Industrielle und ein Politiker, letzterer will für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren. Hintergrund ist ein Vorfall im Jahr 1940 nahe Dünkirchen, bei dem der Bruder des Grafen sowie seine Cousins den Tod fanden. Mehr Details hier zu verraten, hieße arg zu spoilern. Es gibt viele in die Machenschaften Verwickelte, etliche Opfer pflastern den Weg der Missetäter und auch manche Liebesbeziehung wächst oder entwickelt sich.

Am meisten fasziniert an dem Roman im Grunde die auktoriale Erzählperspektive, der man heute in Romanen nur noch selten begegnet. Die Autorin oder vielmehr der Erzähler hält dabei stets eine gewisse Distanz zu den Figuren, kennt die Gedanken und Gefühle von allen Auftretenden und „hüpft“ während der Geschehnisse von Kopf zu Kopf. Nachteil dieser Perspektive ist, dass dadurch auch die Leserin auf Abstand zu den Figuren gehalten wird, was es insbesondere hinsichtlich des Protagonisten erschwert, mit ihm mitzufühlen und mitzufiebern.

Denn während Julius von Glauberg von einem Abenteuer, einem Anschlag zum nächsten taumelt, bleibt er der Einzige, der den Überblick behält und mit seiner kultivierten Art den perfekten Gegensatz zu seinen proletenhaften Gegenspielern bildet. Was zu einem weiteren Manko des Romans führt: die etwas zu starke Schwarz-Weiß-Malerei. Die Bösen sind böse und die Guten sind gut. Fertig. Es gibt keine Schattierungen. Sogar optisch schlägt sich das im Aussehen der Figuren nieder, Glauberg ist groß, schlank, stets aufrecht, wohlerzogen, hat immer seine Gefühle unter Kontrolle. Die Übeltäter sind fett, schwitzen ständig, sind unbeherrscht.

All das tritt jedoch in den Hintergrund neben der süchtig machenden Spannung, auch wenn die Handlung und die handelnden Personen ein wenig an Yellow Press Artikel erinnern. Stets fragt man sich, was als nächstes geschieht, ob denn nun endlich die Übeltäter überführt werden. Doch stattdessen geschieht ein weiteres Mal eine Schandtat, wird jemand verletzt oder getötet, verfolgt die Polizei den Grafen, der doch das Opfer ist.

Was der Autorin in jedem Fall sehr gut gelungen ist, sind die Dialoge. Sie sind geschliffen, auf den Punkt gebracht, sie transportieren Handlung und Information, ohne zu langweilen. Es gibt weder Abschweifungen noch Wiederholungen, jede Figur hat ihren Sprachduktus, so dass man nie den Faden verliert. Gleichermaßen gekonnt sind die Beschreibungen von Personen und Örtlichkeiten, wenn vielleicht auch oft etwas langatmig. Dabei hat mich als geborene Frankfurterin vielleicht auch ein wenig beeinflusst, dass die Handlung in dieser Region angesiedelt ist.

Fazit: wer sich durch den Umfang des Buchs und von den ersten hundert Seiten nicht abschrecken lässt, wird mit einem spannenden Roman belohnt, der historische Ereignisse geschickt mit Fiktion vermischt. Falls die Autorin weitere Bücher verfasst, werde ich diese gerne lesen.

Gewünscht hätte ich mir übrigens mehr Information über die Autorin, etwas, das im Buch leider fehlt.

Caethe Worring – Das Gift der Schlangen
epubli, Juni 2020
Taschenbuch, 731 Seiten, 19,99 €

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