Viel hilft viel?

Ich erinnere mich an eine Episode aus unserer Familiengeschichte, lang ist’s her. Mein Neffe, damals vier oder fünf Jahre alt, erwachte nach einer Familienfeier recht zeitig am nächsten Morgen. Deswegen wurde er von den Altvorderen besorgt gefragt, ob er denn gut geschlafen habe und ob der Schlaf nicht ein wenig kurz gewesen sei. Daraufhin der Knirps – O-Ton: „Qualität entspricht nicht immer der Quantität“. Das darauffolgende verdatterte Schweigen der Erwachsenen kannst du dir bestimmt vorstellen.

Warum erzähle ich das? Weil mich diese Frage immer mal wieder umtreibt: Sind Qualität und Quantität ein Widerspruch? Schließt das eine das andere aus? Sind Autoren, die quasi im Minutentakt neue Kurzgeschichten oder gar Romane raushauen, die zu jedem Thema etwas zu erzählen haben und deren Texte vielleicht auch noch jedes Mal das Zeichenlimit ausreizen, sind diese Schriftsteller automatisch die schlechteren Schreiber? Und sind solche Autoren wie zum Beispiel Donna Tartt, die nur etwa alle zehn Jahre ein neues (zugegeben meistens echt gutes) Buch veröffentlicht, dann im Umkehrschluss grundsätzlich die besseren Schriftsteller?

Ist es wirklich so einfach?

Natürlich sind solche Autoren, denen zu wirklich jedem Thema etwas einfällt und die das dann auch noch in die passenden Worte fassen können, zu beneiden. Und darüber hinaus sind sie auf jeden Fall auch die geübteren Schreiber. Kennt doch jeder, diese „Regel“, dass man/frau jeden Tag schreiben sollte, um das Schreiben zu trainieren. Ich verkneife mir an dieser Stelle den üblichen Vergleich mit Sportlern oder Musikern. Du weißt, was ich meine.

Aber diese täglichen Ergüsse, diese „Etuden“ des Schreibens, muss ich die wirklich alle auf die Menschheit loslassen? Steht hier die Quantität nicht eher dafür, dass es noch keine Qualität ist, weil die erst durch die Quantität entsteht, sprich durch das tägliche Üben? Sorry, wenn das jetzt ein wenig verknotet formuliert ist, aber ich denke, du verstehst.

Apropos tägliches Schreiben. Sicher kennst du auch, entweder durch eigenes Ausprobieren oder vom Hörensagen, solche Tools, mit denen du dein Tagespensum verfolgen kannst. Und nicht nur das, der Zweck dieser Listen oder Apps oder ähnliches ist es, dass es dich antreiben, anspornen und motivieren soll, dieses selbst gesetzte Tagesziel von soundso vielen Worten oder Zeichen zu erreichen. Oder meinetwegen auch ein Zeitlimit, welches du pro Tag mindestens schreibend zu verbringen hast.

Echt jetzt?

Ich gestehe, auch ich habe das mal ausprobiert. Und ganz schnell wieder davon Abstand genommen. Soll ich mich tatsächlich zum Sklaven einer Excel-Liste machen, die die Worte zählt, die ich heute, gestern, letzte Woche geschrieben habe? Echt jetzt? Nein, das hat nichts mehr mit kreativem Schreiben zu tun, finde ich. Nur noch Masse produzieren, weil ich mir diese Zahl als Tagesziel selbst gegeben habe? Wirklich nicht.

Damit habe ich jetzt endlich wieder zum Thema zurückgefunden. Es geht eben darum, jedenfalls sehe ich das so und das ist auch mein Ansporn, meine Motivation, es geht darum, Qualität zu produzieren, nicht Quantität. Ich muss dabei an eine Autorin denken, die sich selbst vor ein paar Jahren die Challenge gegeben hat, 12 Romane in 12 Monaten zu schreiben. Sie hat es geschafft und damit meine ich nicht nur das Schreiben der Bücher, sie hat sie auch alle selbst veröffentlicht, sprich auch Lektorat, Korrektorat, Covergestaltung usw. Ich ziehe ganz bestimmt mit großem Respekt meinen Hut vor ihr. Dabei muss ich zugeben, dass ich nicht einen ihrer Romane gelesen habe. Dennoch wage ich die Behauptung, dass dabei die Qualität doch im Grunde nur auf der Strecke bleiben kann. Wenn ich schon allein an das Überarbeiten eines Romans denke, das meines Erachtens wirklich sehr sorgfältig gemacht werden sollte (s. dazu meinen Blog „Loslassen, wenn es Zeit ist“), dann frage ich mich, wo dafür bei diesem Sprint (oder war es eher ein Marathon?) noch Zeit war.

Also ist weniger mehr?

Es gibt ja im Netz mehrere Foren, bei denen monatlich Kurzgeschichten zu vorgegebenen Themen veröffentlicht werden können, die dann von den Mitgliedern kommentiert werden. Auch ich bin bei einem solchen Forum Mitglied und es macht große Freude (und manchmal auch Angst…), die eigenen Geschichten all den anderen zur Kritik freizugeben. Der Lerneffekt ist enorm und auch der gleichzeitige Nebeneffekt, dass dich diese immer konstruktive Kritik auch jedes Mal mehr oder weniger sanft auf den Boden zurückholt. Also nicht, dass wir meinen, unsere Schreiberei sei bereits unfehlbar.

Aber abgesehen von der Zeit, die es benötigt, die Geschichten aller anderen zu lesen und zu kommentieren, gelingt es mir einfach nicht, zu jedem Thema etwas zu schreiben. Und es gibt solche, die mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks jeden Monat ihren Text hochladen. Natürlich sind das nicht automatisch deswegen schlechtere Texte. Dennoch bleibt in mir ein Gefühl des Zweifels, ob diese Texte mit der nötigen Sorgfalt geplant, durchdacht, ausgearbeitet, geschrieben, korrigiert, überarbeitet und nochmal poliert wurden, bevor sie der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Mit Quantität zu Qualität

Hier komme ich auf den Anfang zurück: Quantität versus Qualität. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die berüchtigten Vielschreiber des letzten Jahrhunderts, Simmel, Konsalik und wie sie alle hießen. Ähnliche Masse-Produzierer gibt es auch heute. Diese Autoren schreiben ihre Romane schneller als wir unsere Butterbrote schmieren. Und, so empfand ich es, als ich sie las und so sehe ich es heute noch, die Qualität der Bücher ließ von Mal zu Mal mehr nach. In diesem Zusammenhang muss einfach auch Ken Follet erwähnt werden, der seine neuen Bücher ja noch nicht mal selbst und allein schreibt. Muss das sein?

Doch das andere Extrem, wie das oben erwähnte Beispiel Donna Tartt muss es natürlich auch nicht sein. Ich glaube – abgesehen davon, dass das ohnehin jede*r Autor*in für sich selbst entscheiden muss – dass eine Beschränkung der Quantität der Erhöhung der Qualität in den allermeisten Fällen sehr zuträglich ist. Dabei jedoch bitte die Quantität der „Schreib-Etuden“ nicht verringern, denn die erhöht wiederum auch die Qualität der Ergebnisse.

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